Tegernseelauf 2018 – ein Halbmarathon mit Erinnerungslücken
Sonntag, der 23. September 2018. Der Tag, dem ich seit Juni entgegenlaufe. Der Tag, an dem ich erfahre, inwiefern sich das «Laufen nach Plan» in den letzten vier Monaten gelohnt hat. Der Tag, an dem sich zeigt, ob ich mein Ziel, die 21,0975 km rund um den Tegernsee in unter 1:43 zu laufen, erreiche. Der Tag der Wahrheit.
Die eigentlichen Geschichten entstehen zwischen Kilometer 0 und 21,0975 und neben der Strecke
Ich könnte es kurz und knapp halten und euch mitteilen, dass ich mein Ziel erreicht habe und in unter 1:43 ins Ziel gekommen bin: mit 1:38:13 als 8. Frau in meiner Altersklasse – ein Screenshot des offiziellen Ergebnisses oder der Urkunde mit der Zielzeit als Beweis. Das wäre meine Geschichte vom Tegernseelauf als Kurzversion in der Heldenvariante. Die eigentlichen Geschichten entstehen aber zwischen Kilometer 0 und 21,0975 und abseits der Strecke. Nachdem ihr mich so lange bei der Vorbereitung begleitet habt, möchte ich euch in diesem Blogpost natürlich die ganze Geschichte erzählen – inklusive der nicht so glorreichen Momente. Los geht’s:
Dank Isar-Lauf fühle ich mich gut vorbereitet
Dank der kurzen Generalprobe beim Isar-Lauf fühle ich mich gut vorbereitet – ich weiss, was auf mich zukommen wird. Sicher auch ein Grund, warum ich in der Nacht vor dem Tegernseelauf viel besser schlafe als vor dem Isar-Lauf. Zum Frühstück gibt es über Nacht eingeweichtes Müsli mit Joghurt, Brombeeren und Himbeeren – ich bin «ready to run».
Es ist ungemütlich frisch – aber im Startblock hat die kalte Luft keine Chance gegen die Läufer-Körperwärme
Der Himmel ist bedeckt und es ist um 10:00 frisch. Dennoch entscheide ich mich, in kurzer Hose und T-Shirt zu laufen. Auf dem Weg zum Start ist mir kalt, aber das wird nach den ersten Kilometern beziehungsweise sobald die Sonne rauskommt – und danach sieht es aus – anders sein. Sobald ich im Startblock stehe, hat das Frieren ein Ende: wir Läufer stehen so dicht, da hat die kalte Luft gegen die Körperwärme keine Chance, sodass ich während des Wartens zum Glück nicht weiter auskühle.
Die Beine sind ausgeruht, einzig die Waden fühlen sich fest an
Die ersten Kilometer geht es leicht bergab – warm wird mir trotzdem. Ich versuche meinen Rhythmus zu finden und nicht zu schnell zu laufen. Die anderen Läufer und das leichte Gefälle laden dazu ein. Die Beine sind ausgeruht. Einzig die Waden fühlen sich fest an, was sich glücklicherweise nach den ersten 5 Kilometern legt.
Eine Minute früher als beim Isar-Lauf vor zwei Wochen erreiche ich die 10-Kilometermarke
Mit der Zwischenzeit von 44:17 bei 10 Kilometern bin ich zufrieden: über eine Minute schneller als beim 10 Kilometer-Lauf vor zwei Wochen – yay! Ich weiss, dass es am Ende noch zwei Anstiege gibt und ich bergauf meine Pace nicht halten werden kann – aber das ist für mich vollkommen ok. Inzwischen ist die Sonne rausgekommen und es ist merklich wärmer. Ab der zweiten Verpflegungsstation (die erste war so unscheinbar, dass ich an ihr vorbeigelaufen bin) trinke ich an allen Verpflegungsstationen Wasser. Nachdem ich bei der zweiten Verpflegungsstation im Laufen trinke und die Hälfte neben meinem Mund landet – das Trinken aus Pappbechern im Laufen will offensichtlich geübt sein 😉 – trinke ich bei allen zwei weiteren im Gehen. Das klappt deutlich besser, sodass der ganze Becher Wasser auch in meinem Mund landet.
Meine ausgefallene Runstastic App bringt mich aus dem Konzept
Zwischen Kilometer 11 und 12 fällt meine Runstastic App aus. Ich merke es erst bei Kilometer 12 durch die ausbleibende Pace-Ansage. Meine parallel laufende Strava-App scheint auch nicht mitzutracken… Ich bin sicher, dass ich sie vor dem Lauf gestartet habe (als ich im Ziel Strava beenden möchte, gibt es keine laufende Aktivität die ich stoppen könnte…). Egal. Auf den Schreck öffne ich mein Gel, lasse App App bleiben und konzentriere mich auf die Kilometermarkierungen an der Strecke. Aus dem Konzept bringt mich die ausgefallene Runstastic App trotz der Kilometermarkierung aber dennoch – so sehr habe ich mich inzwischen an die Pace-Ansagen nach jedem Kilometer gewöhnt.
«Es sind nicht die Beine, die versagen, sondern der Kopf, der aufgibt», denke ich und laufe weiter.
Bei Kilometer 14 steigt Runstastic aus unerfindlichen Gründen wieder ein. Das macht es für mich aber auch nicht besser – denn die Kilometerdurchsagen stimmen nun gar nicht mehr mit den Streckenmarkierungen überein. Während der letzten 7 Kilometer immer 3 Kilometer weniger zu hören, als ich tatsächlich schon gelaufen bin ist nicht gerade motivierend 😉 Immerhin höre ich nun nach jedem Kilometer wieder mein Pace. Wie vermutet laufe ich gegen Ende langsamer als am Anfang – die Anstiege machen sich bemerkbar. Dennoch kann ich an den Steigungen den ein oder Läufer überholen – aber ich werde auch überholt. Mit den Anstiegen am Ende kommt die Sonne raus und damit die Wärme – beide machen mir zu schaffen. Ich atme schwer und würde gerne langsamer machen. «Das ist wohl der Moment, der gemeint ist, wenn die Rede davon ist, dass es nicht die Beine sind, die versagen, sondern dass es der Kopf ist, der aufgibt», denke ich und laufe weiter.
Es ist wie in einem Traum – ich renne so schnell ich kann, aber das Ziel rückt keinen einzigen Millimeter näher
Am Ende der letzten Steigung beim Gut Kaltenbrunn sehe ich meinen Freund - yay, fast geschafft, nicht mal mehr 1 Kilometer! Mir ist ein wenig schwindlig und ich würde am liebsten genau jetzt anhalten – aber bis zum Ziel sind es noch ein paar Meter. «Die schaffst du noch!» sage ich mir. Aber diese letzten Bergab-Meter vor dem Ziel erscheinen mir unüberwindbar. Wie in einem Traum, in dem ich renne so schnell ich kann, aber das Ziel bleibt immer in der gleichen Entfernung, es rückt keinen einzigen Millimeter näher, wie sehr ich mich auch anstrenge. Kennt ihr solche Träume?
Meine Beine wollen noch – es geht ja auch nur noch bergab, das läuft ja fast von alleine. Aber mein Kopf will nicht mehr - der Schwindel wird stärker. Ich verringer mein Tempo und gehe statt zu laufen um nicht umzukippen. Offensichtlich torkel ich doch. Jedenfalls spüre ich rechts und links zwei Hände, die mir unter die Arme greifen. Gestützt von zwei anderen Läufern gehe ich die allerletzten Meter ins Ziel. Alleine hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft. Ich bedanke mich mehrmals bei ihnen – es ist unglaublich lieb von ihnen, das für mich zu tun. Dann setzt meine Erinnerung aus.
Ich finde mich im 1. Hilfe Zelt wieder
Kurz darauf finde ich mich auf einer Liege und mit über 39 Grad Körpertemperatur im 1. Hilfe Zelt wieder. Im Ziel haben mich die Sanitäter übernommen. Ich bin offensichtlich dehydriert und habe einen Kreislaufkollaps. Anfängerfehler. Bis Michael mich findet, dauert es ein bisschen – im 1. Hilfe Zelt hat er mich jedenfalls nicht erwartet 😉 Als er mich das letzte Mal gesehen hat, machte ich zwar einen müden aber keinen besorgniserregenden Eindruck. Weniger als einen Kilometer später gebe ich ein völlig anderes Bild ab: durchgeschwitzt und trotzdem mit einer Decke zugedeckt, die Beine hochgelegt und eine Infusion im Arm. Leider haben wir nicht daran gedacht, ein Foto zu machen. Wobei, vielleicht ist es besser so – ich würde wahrscheinlich nie wieder länger bei höheren Temperaturen laufen! Nachdem die Infusion durchgelaufen ist und ich parallel einen Liter Wasser getrunken hatte, bin ich entlassen.
Das «Laufen nach Plan» hat sich für mich auf jeden Fall gelohnt: nach dem Lauf habe ich nicht die Spur eines Muskelkaters. Das war bei meinem 2. Halbmarathon 2015 in Basel ganz anders - da habe ich mich zwei Tage lang nicht ohne Armunterstützung hinsetzen können….
Eine Frage, die ich mir seitdem immer wieder stelle: gilt meine Zeit überhaupt, wenn ich nur mit Unterstützung ins Ziel gekommen bin? Fest steht jedenfalls: Ich habe alles gegeben 😂 Für mich habe ich entschieden, die Zeit gelten zu lassen. Denn ich bin selber gegangen – nur eben gestützt. Wenn das ein Ausschlusskriterium gewesen wäre, wäre ich offiziell disqualifiziert worden.
Wie würdet ihr diese Frage für euch beantworten?
Wer die drei Lauf Updates verpasst hat, findet sie hier: Laufen nach Plan, Ein Monat #schusterrunner, Zwei Monate #schusterrunner, Drei Monate Schusterrunner